Karfreitag, 22 Uhr. Nach einem kleinen Abendessen und 3 Stunden Bettruhe, gab es Tee und Kekse und dann rief er – der Berg aller Berge Afrikas. Die Stimmung im Kibo Hut war der einer Trauerfeier gleich. Keiner fühlte sich so richtig fit, jeder klagte über Kopfschmerzen oder Übelkeit – bei mir war es eher nur Ehrfurcht.
Um 23 Uhr waren wir dann endlich startklar. Skiunterwäsche, Trekkinghose, Windhose, 3 kurze Shirts, 2 lange Shirts, 2 Fleece-Pulli und eine Regenjacke, Schal, Mütze und Handschuhe ließen mich ein wenig wie ein Michelin-Männchen aussehen.
Als wir losgehen regnet es leicht, das Ganze geht dann in Schnee über. Das gute an der Nachtwanderung ist, dass man nicht sieht, wo man hingeht und somit auch nicht diese Ewigkeit vor Augen hat, die man irgendwie überwinden muss. Sally und der Schwede gehen eine Stunde nach uns los, überholen uns dann aber auch bald. Mein Mantra, das mir meine Schwester gegeben hat, sage ich alle 5 Minuten auf. Ich schätze im Schnitt wollte ich alle halbe Stunde aufgeben. Und bin dann doch weiter gelaufen, denn so schnell gebe ich nicht auf. Die Frage nach der Zeit, die wir noch bis zum Gipfel brauchen ist irgendwann rein rhetorisch geworden, um von Kälte und anderen aufkeimenden Gefühlen abzulenken. Zum Beispiel, warum ich eigentlich ein Heidengeld dafür bezahle, um mich dann so zu schinden. Werden es meine Zehen, Finger und meine Nieren überleben oder sterben sie den sicheren Kältetod. Was passiert eigentlich wenn einer von uns beiden umkehren muss – wir sind nur mit einem Guide hier oben? Und die Abmachung lautete doch, der der noch kann, geht auf jeden Fall weiter. Wieso klagen alle über Übelkeit und ich habe Hunger? Sind die Kopfschmerzen Symptome der Höhenkrankheit oder nur Einbildung? Und warum habe ich so einen metallischen Geschmack im Mund? Blut? Sieht man da unten die Lichter Moshis? Oder ist es doch schon Kenya? Warum sind wir nicht den Mount Meru hoch, dann wären wir jetzt schon oben. Noch 4 Stunden bis zum Gipfel. Immer noch 4 Stunden?!? Aber bei unserem Tempo…Colman sagt wir schaffen 100 Höhenmeter in der Stunde…und es geht nur im zickzack aufwärts, denn geradewegs hoch ist zu steil. Wo hat Colman eigentlich die Notfallmedikamente und Sauerstoff…er trägt doch heute mal wieder freundlicherweise meinen Daypack und hat selbst kein Gepäck dabei. Schnell Mantra aufsagen…Dann Spuren von Sally. Ihr muss es wohl irgendwann beim Aufstieg schlecht gegangen sein, jedenfalls hat sie direkt auf den Weg gespien. Ja und dann auf halbem Weg nach oben, sehen wir plötzlich Lichter schnell auf uns zukommen. Der Schwede…anscheinend hat ihm die Höhe ein wenig zu schaffen gemacht. Er kann nicht mehr alleine laufen und spricht nur noch wirres Zeug. Sein Guide versucht, ihn so schnell wie möglich nach unten zu bringen…und runter ist auch nicht besser oder schneller als rauf. Bei dem Anblick wird mir noch mal anders, denn in kalter Nacht – und es war trotz ordentlicher Kleidung schweinekalt – wird einem da plötzlich bewusste, dass die Besteigung kein Sonntagsspaziergang ist, sondern auch einiges an Gefahren mit sich bringt.
Als sich die Sonne so langsam am Horizont zeigte, meine Nieren, Zehen und Finger ein Lebenszeichen geben, war der Weg zum Gipfel nun endlich zu erkennen. Und wir hatten plötzlich Gewissheit…es würde noch Stunden dauern…also Mantra aufsagen…und zu Colmans Belustigung (oder hat er das eher gemacht um mich zu motivieren) das Kili-Lied singen.
Um 8:30 Uhr war es dann endlich so weit…die letzten Meter sind wir gekrochen und mussten über einige Steine kraxeln…aber ab sofort wird kein Kili mehr getrunken…knapp 50 km und 4.800 Höhenmeter überwunden, für das Foto aller Fotos…
Was soll ich sagen, wir haben es geschafft, aber irgendwie konnte ich mich da oben nicht wirklich freuen, so erschöpft war ich. Olli hat ein paar Fotos gemacht und wir haben entschieden, dass kein weiterer Bedarf für den Uhuru Peak besteht und der Gilmans Point mit seinen 5.681 Metern reichen muss.
Ja, und dann steht man da 5 Minuten, macht nochmal Fotos, schaut sich alles an und dann ist der Zauber auch schon vorbei…denn der Abstieg beginnt.
Fazit:
Low Season und Regenzeit sind die beste Zeit für eine Kili-Besteigung. Zum einen trifft man auf dem Berg so gut wie niemanden und die Hütten sind schön leer. Und wenn man Colmann als Sonnenmacher hat, gibt’s auch kaum Regen in der Regenzeit☺
Habe ich anfangs noch gedacht, den Summit Day um 23 Uhr zu beginnen ist reine Schikane, so bin ich nun echt froh drum. Da nur die kleine Stirnlampe einem dem Weg leuchtet, hat man wenigstens nicht ständig dieses absurd weite und fast unerreichbare Ziel vor Augen. Die Wege sind nachts noch teils gefroren, somit einfacher zu begehen und man entgeht schlichtweg der Hitze beim Aufstieg.
Das ganze ist und war eine absolute Grenzerfahrung für mich. Ich bin froh es gemacht zu haben und mittlerweile bin ich auch richtig stolz auf uns, dass wir es geschafft haben. Aber es bleibt definitiv ein once-in-a-lifetime experience.